Regelleistung aus Elektroautos in 2030: Was bringen 140 GW Ladeinfrastruktur?

Bei der Einschätzung der Wirtschaftlichkeit von Großspeichern rückt die Bewertung der Entwicklung von Flexibilität aus dezentralen Anlagen immer mehr in den Fokus. Kann in Zukunft mehr Flexibilität aus Demand Response, Heimspeichern, Wärmepumpen und Ladesäulen bereitgestellt werden, könnte dies die möglichen Erlöse von Speicherkraftwerken verringern. Der folgende Beitrag bewertet das Potenzial von Ladeinfrastruktur für Elektroautos im Regelleistungsmarkt. Dabei werden folgende Schlüsselparameter betrachtet:

  • Ausbaupfad der Elektromobilität und Ladeinfrastruktur
  • Gesicherte Flexibilität im Vergleich zur installierten Ladeleistung
  • Kosten zur Bereitstellung der Flexibilität (Zusätzliche Hardware, Präqualifikation, IT-Anforderungen, etc.)

Unidirektionale vs. bidirektionale Ladeinfrastruktur: Was ist der Unterschied?

Die unidirektionale Ladeinfrastruktur, die heutzutage als Standard gilt, ermöglicht das Aufladen von Elektroautos, sei es zu Hause über eine Wallbox oder an öffentlichen Ladepunkten. Die Ladesäule bezieht Energie aus dem Stromnetz und speist sie in die Batterie des Fahrzeugs ein. Sie kann zwar die Ladeleistung steuern, um auf die Bedürfnisse des Netzes zu reagieren (wie beispielsweise das Reduzieren von Spitzenlasten), ist aber nicht in der Lage, Energie zurück ins Netz zu speisen. Die Regelleistungsbereitstellung erfolgt hier durch intelligentes Laden oder „Smart Charging.“ Dabei wird die Ladeleistung je nach Bedarf des Stromnetzes angepasst: Bei einem Stromüberschuss wird der Ladevorgang beschleunigt, während bei einem Defizit die Ladeleistung reduziert wird. Hierbei kann der Ladevorgang im Extremfall auch komplett unterbrochen werden.

Im Gegensatz dazu ermöglicht die bidirektionale Ladeinfrastruktur nicht nur das Laden des Fahrzeugs, sondern auch das Rückführen von Energie aus der Fahrzeugbatterie ins Netz. Diese Fähigkeit eröffnet erweiterte Möglichkeiten für die Teilnahme am Regelleistungsmarkt und bietet eine höhere Flexibilität im Energiemanagement.

Flexibilität aus Ladeinfrastruktur

Ausbaupfad von E-Mobilität & Ladeleistung

Zur Abschätzung des Hochlaufs der Elektromobilität gibt es bereits einige Studien und die Ziele der Bundesregierung. Demnach sollen 15 Millionen Elektroautos bis zum Jahr 2030 auf Deutschlands Straßen fahren und 1 Million öffentliche Ladepunkte für Elektroautos entstehen. Des weiteren wird geschätzt, dass im privaten Raum etwa 7 Millionen und bei Arbeitgebern nochmals 2,6 Millionen nicht-öffentliche Ladepunkte gebaut werden. Diese Zahlen sollen als Grundlage für die überschlägige Abschätzung der Flexibilität dienen.

Basierend auf der mittleren Leistung von Ladepunkten im öffentlichen Raum von 34 kW und im nicht-öffentlichen Raum von 11 kW, ergibt sich bis 2030 eine installierte Gesamtleistung von 140 GW. Das entspricht rund 40% mehr als der aktuelle deutsche Spitzenlast-Erzeugungspark liefern kann. Auch wenn ein Gleichzeitigkeitsfaktor berücksichtigt werden muss, bleibt die Zahl beeindruckend.

Abschätzung der gesicherten Leistung

Die Abschätzung der gesicherten Leistung basiert auf dem Verhältnis zwischen dem Gesamtenergiebedarf der Elektromobilität und der installierten Ladeleistung. Der durchschnittliche Energieverbrauch eines PKWs in Deutschland beträgt etwa 15 kWh pro 100 km. Mit einer durchschnittlichen Jahresfahrleistung von 13.000 km ergibt sich ein Energiebedarf von ca. 2.000 kWh pro Auto. Im Jahr 2030 könnte sich somit ein Strombedarf von 30 TWh durch Elektroautos ergeben.

Verteilt man diesen Bedarf gleichmäßig über das gesamte Jahr, ergibt sich eine konstante „Baseload“ von 3,4 GW aus unidirektionalen Ladesäulen. Diese Annahme dient als vereinfachende Grundlage, um die hohe theoretische Spitzenlast bei zeitgleicher Benutzung aller Ladepunkte von 140 GW zu relativieren. Natürlich wird es in der Praxis Schwankungen in der verfügbaren Ladeleistung geben, aber diese Annahme bietet eine realistische Einschätzung der durchschnittliche zu Verfügung stehenden Leistung.

Bei der Schätzung der gesicherten Leistung aus der Ladeinfrastruktur, die über „Smart Charging“ für den Regelleistungsmarkt genutzt werden kann, sind mehrere Abschläge zu berücksichtigen:

  1. Technologie-Abschlag: Technologische Einschränkungen oder Unzuverlässigkeit der Ladestationen und Fahrzeuge können die gesicherte Leistung reduzieren. Diese könnten sowohl von der Qualität der Hardware als auch der Software abhängig sein.
  2. Regulatorischer Abschlag: Bestimmte Gesetze oder Vorschriften könnten die Flexibilität einschränken, besonders wenn es um bidirektionales Laden oder Eingriffe in die Ladeleistung geht.
  3. Netzkapazitäts-Abschlag: Die verfügbare Kapazität des örtlichen Stromnetzes kann ebenfalls einen begrenzenden Faktor darstellen. Wenn das lokale Netz nicht in der Lage ist, die gesamte potenzielle Ladeleistung zu bewältigen, muss dies ebenfalls in die Berechnung einfließen.
  4. Verhaltens-Abschlag: Die Bereitschaft der Autobesitzer, sich an einem solchen System zu beteiligen und die Kontrolle über die Ladezeiten abzugeben, kann variieren und schwer vorhersehbar sein. Menschen könnten sich unwohl dabei fühlen, ihre Ladepräferenzen vollständig einem automatisierten System zu überlassen. Dies sollte an privaten Ladepunkten, bei denen Autos über Nacht geladen werden, weniger kritisch sein als an öffentlichen Ladepunkten.
  5. Prognose-Abschlag: Je kleiner die Pool-Leistung eines Anbieters von Regelleistung ist, desto größer ist die Unsicherheit bei der Abschätzung der tatsächlich vorhandenen Ladeleistung. In einem Pilotprojekt mit Windkraftanlagen wurde z.B. für vermarktbare Leistung vom Netzbetreiber eine Verfügbarkeit von 99,994% gefordert. Der Windpark Borkum Riffgrund 1 kann aufgrund dieser Prognoseunsicherheit nur etwa 10% seiner Leistung als Sekundärregelleistung vermarkten.

Unter Berücksichtigung dieser Faktoren könnte die gesicherte Leistung aus der „Baseload“-Ladeleistung von 3,4 GW etwa 10% der Leistungspreisauktion für Primär-, Sekundär- und Minutenreserve, also 340 MW betragen. Auf der anderen Seite gibt es bereits einige Pilotprojekte, bei denen die Ladeinfrastruktur bidirektional genutzt wird. Das erhöht die vorhandene Flexibilität, vor allem bei den nicht-öffentlichen Ladepunkten, da Autos hier oft nach dem Ladevorgang noch am Ladekabel hängen. Mit einem steigenden Anteil an bidirektionalen Ladesäulen würde diese Zahl wahrscheinlich etwas höher ausfallen.

Kosten zur Bereitstellung der Flexibilität

Ein wichtiger Faktor bei der Abschätzung der vermarktbaren Leistung, sind zusätzliche Kosten für die Hardware, Software, Anbindung und Vermarktung von Regelleistung aus Ladeinfrastruktur. In der Schweiz laufen aktuell Versuche mit einer Flotte von E-Autos, welche sich im Serienzustand befinden und ohne Hard- oder Software-Änderungen für den Sekundär- und Primärregelleistungsmarkt präqualifiziert werden können. Die exakten Kosten für Präqualifikation und zusätzliche Messeinrichtungen im Ladepunkt sind allerdings noch unklar. Sollte Regelleistung durch „Smart Charging“ erbracht werden, sind überschaubare Zusatzkosten zu erwarten, weshalb in diesem Bereich das größte Potenzial gesehen wird.

Beim bidirektionalen Laden sind die Kosten für die Hardware in der Regel höher. In einer Recherche konnte lediglich ein Anbieter für Privatkunden gefunden werden, der eine Wallbox mit bidirektionaler Funktionalität für 4.000€ anbietet. Dies liegt deutlich über dem Preis einer Standard-Wallbox, der bei etwa 250€ exklusive Installation beginnt. Dennoch wird mit steigendem Angebot bis 2030 eine Verringerung der Preise erwartet. Positiv zu vermerken ist die jüngste Ankündigung von VW, dass die Funktion für bidirektionales Laden im Auto per Software-Update nachgerüstet werden kann. Damit scheinen zumindest auf Seiten des Fahrzeugs keine zusätzlichen Kosten zu entstehen, was die Einführung dieser Technologie weiter begünstigen könnte.

Fazit

Ladeinfrastruktur für Elektroautos könnte im Jahr 2030 einen signifikanten Anteil am deutschen Regelleistungsmarkt haben. Es besteht die Möglichkeit, dass bis dahin ca. 340 MW an Ladeleistung in den täglichen Leistungspreisauktionen vermarktet werden können. Sie könnte somit über 50% des heutigen Bedarfs an Primärregelleistung (FCR) decken und zusätzliche den Markt für Sekundärregelleistung (aFRR-) beeinflussen.

Es bestehen jedoch erhebliche Unsicherheiten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Flexibilisierung der Ladeinfrastruktur sind noch unklar, und um einen breiten Roll-Out zu ermöglichen, wären weitere Anstrengungen wie die Standardisierung der Präqualifikation von Wallboxen und eine erhebliche Reduzierung der Kosten für die Messtechnik erforderlich.

Einen größeres Potenzial besteht aus meiner Sicht im Bereich des Stromhandels und bei Demand-Response. Hier sind die Einstiegshürden deutlich niedriger als bei der Regelleistung und es könnte aufgrund der kürzeren Vorlaufzeiten deutlich mehr Flexibilität im Markt bereitgestellt werden.

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2 Kommentare

  1. Eine gute Analyse, die leider einen wesentlichen Punkt außeracht lässt. BEV Fahrzeugbatterien weisen heute eine Anzahl weniger als 1.000 Ladezyklen auf. Eine 90 kWh Batterie fährt damit insgesamt 600.000 Kilometer – das ist viel. Bei Kosten für die Batterie von 45.000 Euro bedeutet das reine Abnutzungskosten von 50 Eurocent pro kWh, die auf den Kauf des Stroms und die erforderliche elektrische- und IT-Infrastruktur hinzukommen. Damit kostet eine bidirektionale Kilowattstunde über 1 Euro. Die Anwendungsfälle dürften begrenzt sein. Im übrigen ist der Regelleistungsmarkt mit ca. 500 Millionen Euro in Deutschland sehr klein und weitgehend gesättigt. Weitere 340 MW dürften nur zu einem Preisverfall führen. VW regelt die Bidirektionalität deshalb bei 100 Zyklen ab. Unidirektionales Laden in der Regelleistung funktioniert dagegen ohne irgendwelche Nachteile.

  2. Noch ein Hinweis bezogen auf den Prognoseabschlag: Die ÜNB fordern nach 2.6 PQ-Bedingungen eine Zeitverfügbarkeit der bezuschlagten Leistung von 100 % über den Pool. Im erwähnten Pilotprojekt mit WEAs hat sich der Anbieter entschieden, eine Angebotsstrategie zu verfolge, bei einer kalkulierten Verfügbarkeit von 99,994 % anzubieten, was jedoch nicht die Pflicht zur kontinuierlichen Vorhaltung berührt. Um überhaupt eine solche Verfügbarkeit sicherzustellen, steht es den ÜNB frei, den Anbieter von Regelreserve zur Vorhaltung von geeigneter Besicherungsleistung zu verpflichten, was sich ebenfalls potentialsenkend oder kostensteigernd auswirken sollte.

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